Warum lieben so wenige Menschen den Liberalismus? Teil 2

Mit dem Teil 1 habe ich gewisse Grundlagen schaffen wollen um hier zu meinem, ich gebe zu, langen Fazit zu gelangen.

Vor ein paar Jahren, bevor der Begriff Globalisierung in aller Munde war, glaubte man noch, Ethik könne den Kapitalismus besiegen. Wirtschaftsethik boomte damals, man wollte dem Markt Manieren beibringen und dem Manager ins Gewissen reden, aus dem kapitalistischen Raubtier einen Pflanzenfresser mit kategorischen Imperativen machen und Tugend predigen. Doch dieser moralpädagogische Optimismus ist inzwischen verflogen, und der Kritiker des Neoliberalismus träumt nur noch von einem Kapitalismus mit menschlichem Antlitz.

Er ist erschrocken und kehrt zur Tradition der radikalen Kapitalismuskritik zurück, die sich eher auf Moral als auf Wirtschaftstheorie und Geschichtsphilosophie stützt. Ohne jede theoretische Grundlage schwebt die Kritik am Neoliberalismus wie eine Wolke aus verdichteter moralischer Empörung hoch über einer unbegriffenen Realität. Allerdings unterscheidet sich die Neoliberalismuskritik von der marxistischen Kapitalismuskritik nicht nur durch ihre Theorielosigkeit, sondern auch durch ihren Konservatismus. Der Marxismus verstand sich als fortschrittliche Alternative, die den Kapitalismus mit historischer Notwendigkeit ersetzen würde, wenn er aufgrund seiner klassengesellschaftlichen Starrheit zum Hindernis für die Entwicklung der Produktivkräfte würde. Allerdings hat die Neoliberalismuskritik keinen Alternativbegriff im Köcher. Sie zeigt das ganze Elend der Fundamentalkritik. Es ist nichts anderes als ohnmächtige Zurückweisung, rebellische Beleidigung. Sie existiert nur als Kritik an der moralisch destruktiven Dynamik des entfesselten Kapitalismus.

Der Neoliberalismus ist eine Karikatur, ein dämonischer Homunkulus, gezüchtet in der Retorte des Konservatismus, amalgamiert aus einer Vielzahl bekannter illiberaler Plattitüden, die seit Rousseau die Selbstkritik der Moderne durchdringen. An der Oberfläche der Tagespolitik zeigt sich die Kritik am Neoliberalismus vor allem als hysterische Ideologie wohlfahrtsstaatlicher Besitzstandswahrer, die die Reformgeschichte nicht scheuen. In Wirklichkeit ist der angeblich seit dreißig Jahren andauernde Sozialabbau nichts weiter als eine Erfindung, während die Deregulierungs- und Flexibilisierungsreform, mit der der Neoliberalismus den Sozialstaat der Bundesrepublik angeblich in die soziale Kälte gedrängt hat, noch nicht einmal ansatzweise stattgefunden hat. Das Lohnkartell ist noch an der Macht, der Flächentarifvertrag ist nicht unantastbar, und Veränderungen in den sozialen Sicherungssystemen, die zur Privatisierung von Zukunftsrisiken führen und damit eine stärkere Eigenverantwortung des Einzelnen erfordern, lassen noch auf sich warten. Dagegen greift der Staat als stets lächelnder Dienstleister nach Kräften und erfindet Bürokratien, die den Markt bevormunden.

Auch wenn man der kritischen Diagnose des Neoliberalismus nicht zustimmt, kann man nicht umhin, das moralische Engagement vom Linzgaurider zu bedauern. Das Bedürfnis nach Moral in unserer Gesellschaft ist schier unersättlich, und der Wohlfahrtsstaat, in dem wir Opfer unserer eigenen Gerechtigkeitsrhetorik geworden sind, erscheint uns wie ein moralisches Refugium. Der Neoliberalismus, der die Marktrationalität in den Vordergrund stellt und den Zustand der Inkompetenz verdächtigt, muss als Moralzerstörer auftreten.

Diese Ansicht ist natürlich äußerst kurzsichtig. Wer den Sozialstaat als eine Höhle betrachtet, in der die Moral während der kalten Jahreszeit des Kapitalismus überwintert, irrt gewaltig.

Der Wohlfahrtsstaat lehrt keine Moral; seine Anreizsysteme begünstigen den Egoismus ebenso wie den Markt. Die Kritik am Neoliberalismus erschöpft sich jedoch nicht in leicht transparenten sozialstaatlichen Besitzstaatspolitiker. In ihren groß angelegten Performances verfolgt der Linzgaurider eine zivilisatorische Mission. Er will einer barbarischen, ja höllischen Realität furchtlos den Spiegel vorhalten und die Globalisierung des Bösen verhindern. Da sollte man natürlich nicht zimperlich sein. Dämonisierung ist eine Strategie, die den sensationellen Ökonomiegesetzen der Mediengesellschaft und ihrem hart umkämpften Aufmerksamkeitsmarkt folgt. Sie müssen schreien, um den Lärmpegel des Talkshow-Geschwätzes zu übertönen. Übertreibung ist unerlässlich, um Zugang zu erhalten. Es gibt jedoch Grenzen, die der Anstand respektieren muss.

Jeder, der ein Herz am rechten Fleck hat, sollte den Liberalismus gegen diesen verleumderischen Angriff verteidigen und seine Prinzipien der Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie als Menschenrechtsinstitutionen preisen.

Aber der Liberalismus hat keine wirklichen Freunde. Die Menge scheint ihn nicht zu mögen, heute ist man lieber Woke. Er ist nicht allzu faszinierend, und seine Nüchternheit kann nicht anders, als mit all den atemberaubenden Visionen einer erfolgreichen menschlichen Existenz zu kollidieren, die die Menschen zu genießen neigen. Und die Intellektuellen – eine Zeit lang – begrüßten die totalitären Rattenfänger, die den Sozialismus durch Schauprozesse, Deportationen und Massengräber erwarteten.

Aber sie können den Liberalismus nicht vertragen, der – anders als sie – nie die Grundsätze der Menschenrechte und die Ideen der Aufklärung verraten hat. Sie sollten wissen, dass die Kritik am Neoliberalismus heute nichts anderes ist als ein Neoliberalismus, der sich stark an die Motive und Affekte des alten Antiliberalismus anlehnt.

Das gesamte Werk zum Download hier am Ende

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